Branchentalk mit Fabian Roessing
„Wir brauchen ein Konzept für Deutschland“
Lieber Herr Roessing, lassen Sie uns über den aktuellen Zustand der Branche sprechen. Sie wissen sicher, was in den Unternehmen aktuell los ist. Was können Sie berichten?
Wir rutschen leider von einer Krise in die nächste. Inzwischen hat sich die Papierkrise etwas entschärft, sowohl bei der Verfügbarkeit als auch bei der Preisentwicklung. Die Papierkrise wurde unmittelbar abgelöst von der Energiekrise, die jetzt das vorherrschende Thema ist. Es besteht noch immer große Unsicherheit, wie stark die Preise noch ansteigen werden. Unternehmen fragen sich, wie sie überhaupt wirtschaftlich weiter produzieren können.
Wie nehmen Sie das Handeln der Politik wahr?
Lange Zeit drängte sich der Eindruck auf, dass man als Unternehmer weitgehend allein gelassen wird. Ich habe als Unternehmer nicht das Gefühl, von der Politik gut betreut zu werden. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob unsere Probleme verstanden werden. Die Planbarkeit ist schlecht. Als Unternehmen kann man nicht sicher sein, überhaupt einen Gasvertrag zu bekommen. Und wenn, zu welchem Preis? Die Politik hat sehr lange offen gelassen, inwiefern sie Unterstützung leisten wird. Das hat zu großer Unsicherheit und zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins geführt. Denn uns sind ja die Hände gebunden. Wir bekommen einen Preis genannt und damit müssen wir leben. Und das alles kommt ja zu den sonstigen Herausforderungen hinzu, die auch weiterhin bestehen.
Glauben Sie, dass man mit bestem unternehmerischen Handeln wieder in sicheres Fahrwasser kommen kann?
Die externen Faktoren machen es extrem schwer. Im Moment ist die Geschäftslage sicher sehr schlecht. Die Corona Krise war ein absoluter Schock. Der Einbruch 2020 war extrem groß. Daraufhin ist es jedoch glücklicherweise Vielen gelungen, sich etwas zu erholen. Das Jahr 2021 war dann insgesamt ein sehr erfolgreiches Jahr für die Druckindustrie. Wir hatten die Coronakrise einigermaßen verarbeitet. Dann kam natürlich das Thema Material-Preissteigerung. Da konnte man auch nicht viel machen. Aber zumindest konnte man von einer Besserung ausgehen. Schließlich hat man beim Material in gewissem Maße Möglichkeiten, um einzugreifen. Bei den Energiekosten ist das ganz anders. Man muss nehmen, was man bekommt. Das Thema Energie kommt on top und das – im Vergleich zu den vorherigen Krisen – in noch stärkerem Maße. Das Gefühl des Ausgeliefertseins ist deshalb im Moment sehr dominant. Denn das Energiethema hat ja null Einfluss auf das Produkt. Man wird ja nicht schneller oder besser, es entstehen auch keine neuen Produkte. Es geht schlicht darum, zu geringeren Kosten zu produzieren oder die Produktion überhaupt am Laufen zu halten. Die Energiekrise geht zudem einher mit einem reduzierten Absatz. Die Nachfrage bricht ein, das merken auch wir. Höheren Kosten steht weniger Nachfrage gegenüber. Das war letztes Jahr beispielsweise anders. Da hatten wir zwar höhere Papierpreise, aber die Nachfrage war in Ordnung. Diese sinkt jetzt aber wegen der Rezessionsangst. Und damit steuern wir auf zwei gewaltige Probleme gleichzeitig zu.
Ohne die Stimmung jetzt komplett verderben zu wollen – aber über die aktuellen Krisen hinaus existieren noch zwei ganz große Themen, die eigentlich übergeordnet sind. Zum Einen die Digitalisierung, also der Shift von Print zu Digital, die Verlagerung von Kommunikation in den digitalen Raum. Und dann noch das Thema Nachhaltigkeit. Beides ist für sich allein genommen ja schon eine gewaltige Herausforderung. Wo steht die Branche Ihres Erachtens?
Sie haben vollkommen Recht. Lassen Sie mich zunächst auf die Digitalisierung eingehen. Man muss sich einfach damit abfinden, dass das Druckvolumen rückläufig ist. Im Akzidenzdruck ist es sicherlich so, dass das Volumen einfach sinkt und das wird auch nicht mehr umkehrbar sein. Die aktuelle Statistik des bvdm zur Druckindustrie zeigt das auf. Im Jahr 2020 ist das Volumen um 13 Prozent zurückgegangen und es hat sich in 2021 eigentlich nicht wieder erholt. Das Volumen ist einfach weg und kommt wahrscheinlich auch nicht zurück. Die einzige Chance für die Druckindustrie ist es, sich darauf einzustellen, Kapazitäten zusammenzufassen, effizient zu sein und sich als Partner für starke Marken zu positionieren. Print wird gegen Online nicht gewinnen, aber zusammen können die Kanäle jede Marke stärken, die sich gut am Markt positionieren und erfolgreich sein will. Gleichzeitig brauchen wir im Druck natürlich sehr, sehr effiziente und schlanke Produktionsprozesse, um mithalten zu können – weil Online nun mal häufig günstiger ist als eine Print-Produktion.
Auch das Thema Nachhaltigkeit ist natürlich sehr dominant – in den Gesprächen jedoch bisweilen stärker als im Alltag. Zertifizierungen in diesem Bereich werden immer bedeutsamer. Für uns ein großes Thema ist die Frage, inwieweit sich Papier gegenüber Kunststoff bzw. Plastik durchsetzen wird. Durch die anhaltenden Kostensteigerungen ist sicher sicher ein kleiner Stopp eingetreten. Papier hat sich schließlich deutlich verteuert. Und Plastik bzw. Kunststoff haben auch Vorteile. Der Drang, alles nur noch mit Papier herzustellen zu wollen, ist etwas rückläufig geworden. Der Kostendruck im Alltag ist heute vorherrschend, auch wenn das Thema Nachhaltigkeit total präsent ist.
Glauben Sie, dass in Zukunft nur noch das gedruckt wird, was es wert ist, gedruckt zu werden? Dass sich Druck also zunehmend zu einem Premium-Kanal entwickelt? Würde das bedeuten, dass für die Druckproduktion wieder bessere Margen erzielt werden können?
Ja, absolut. Dass man Preise erhöhen kann, war sicher ein großes Learning für die Druckindustrie über die letzten anderthalb Jahre. Das war lange Zeit unüblich in der Branche. Wer die Preise erhöht, demonstriert damit jedoch auch, dass ein fertiges Produkt erzeugt wird, welches auch einen Preis haben muss. Aber es gibt schlicht noch zu viel Kapazität im Markt. Trotz der eigentlich zwingend notwendigen Preiserhöhungen gibt es auch weiterhin Martteilnehmer, die ausweichen und nicht mitziehen, sondern weiterhin versuchen, sich Volumen durch niedrigere Preise zu erkaufen. Das ist wirtschaftlich natürlich nicht sinnvoll, weil bewusst null Marge oder sogar ein Zuschussgeschäft in Kauf genommen wird, um Volumen zu kriegen. Das ist absolut ungesund, für die gesamte Branche. Das zeigt aber auch, dass noch immer zu viel Kapazität im Markt ist. Besonders im Rollendruck sind Großkunden weggefallen, wodurch zusätzlich Kapazitäten freigeworden sind, die auf den Preis drücken. Insgesamt sind wir in dieser Frage aber sicher auf einem guten Weg. Print hat weiter seine Daseinsberechtigung, weil der Mensch ein haptisches Wesen ist. Im Bereich der Bücher wurde immer gesagt, dass die jungen Leute kein Buch mehr in die Hand nehmen würden und das eBook sich durchsetzen wird. Das eBook hat aber auch weiterhin einen geringen Marktanteil von nur 5 bis 6 Prozent. Es hat sich nicht so massiv durchgesetzt, wie prognostiziert. Wir arbeiten heute alle am Bildschirm und deswegen finden wir es gut, in der bildschirmfreien Zeit ein richtiges Buch zu lesen. Print ist wertig. Und da steckt ja auch eine Menge dahinter: das Material, die Menschen mit ihrem Fachwissen, ein Herstellungsprozess. Und deswegen hat das Produkt einen gerechtfertigten Preis. Aber solange so viel Kapazität im Markt ist, wird es insgesamt keine gesunde Preisentwicklung geben, sodass wieder ausreichend Geld zu verdienen ist.
Wie konnte es zu dieser ungesunden Preisgestaltung in der Druckindustrie kommen?
Ich glaube, dass zwei Faktoren eine Rolle spielen: Zum Einen hatten wir mal sehr positive Zeiten, aus denen sicher häufig noch Rücklagen übrig sind, um den harten Preiswettbewerb durchzuhalten. Viele können das sicher auch nur kurzfristig mitmachen – in der Hoffnung Volumen zu kriegen und die Preise später zu erhöhen. Eine Besonderheit in der Druckbranche ist definitiv auch, dass es viele KMUs gibt, die häufig noch inhabergeführt sind. Da wird alles versucht, um den Betrieb über Wasser zu halten, mit einer unglaublichen Leistungsbereitschaft. Die Familien werden aktiv beteiligt, gearbeitet wird oft auch Sonntags. Darüber lässt sich Einiges kompensieren, aber das Geschäftsmodell kommt einfach an seine Grenzen. Ich würde nachdrücklich empfehlen, weiter proaktiv zu konsolidieren und nicht erst dann, wenn es zu spät ist. Besser 50 Prozent von 100 als 100 Prozent von nichts.
Ist Ihrer Meinung nach eher ein betriebswirtschaftlicher oder ein technischer Hintergrund hilfreich für einen Unternehmer in der Branche?
Unternehmer, die nicht aus der Druckindustrie kommen, sehen eine Druckerei vielleicht mehr als Teil eines Gesamtprozesses, aber eben nicht als den wichtigsten Teil. Sie wollen erstmal den Auftrag haben, egal wer ihn produziert. Der klassische Druckunternehmer hingegen hat meist viel Kapital in Maschinen gebunden, was den Druck natürlich erhöht. Das schlank aufgestellte Unternehmen fällt nicht tot um, wenn in einem Monat nicht 200, sondern nur 100 Kunden kommen. Steht ein großer Maschinenpark dahinter, wird das hingegen schnell zum Problem.
Warum tut sich die Branche so schwer mit Erneuerung, insbesondere hinsichtlich der fortschreitenden Digitalisierung?
Die Digitalisierung frisst unbestritten das Druckvolumen. Deshalb wird sie häufig als Bedrohung angesehen – ein natürlicher Reflex. Dennoch ist die Digitalisierung kein theoretisches Gebilde. Jeder Drucker ist auch Privatperson und nutzt wie jeder Andere auch all die bequemen digitalen Plattformen, die uns umgeben. Plattform ist ein gutes Stichwort. Auch in der Druckindustrie gibt es Beispiele dafür, z.B. Flyeralarm. Die Plattform bietet alles ab – eben auch mit Partnern, die dann mit dieser Plattform gemeinsam wachsen und sich weiterentwickeln. Das machen wir in unserem Hause auch. Wir sind auch mit Online Druckern vernetzt, die bei uns bestellen, was sie selbst gar nicht herstellen. Aber Innovation ist schwer. Wenn man aus dem Druck kommt, dann denkt man auch in Druck. Der disruptive Quereinsteiger hingegen denkt umfassender neu. In einem neuen Umfeld etwas ganz Neues zu starten, fällt möglicherweise einfach leichter. Viele Drucker hingegen fragen sich noch immer zuerst, wie sie die Druckmaschine füllen, anstatt sich den Kopf über ein neues Geschäftsmodell zu zerbrechen. Man muss sich mit den Entwicklungen beschäftigen und eine große Offenheit an den Tag legen. Hier kommt auch dem Verband eine wichtige Rolle zu, nämlich an der Entwicklung von Plattformen mitzuwirken, die Print- und Digitalexperten zusammen bringt.
Achilles ist ein Familienunternehmen. Sie gehören zur Familie, sind jedoch erst einmal andere Wege gegangen. Wie sind Sie zurück zu den Wurzeln gekommen?
Ich bin inzwischen seit sechs Jahren in der Achilles Gruppe und habe vorher tatsächlich eine druckferne Ausbildung gemacht. Ich musste mir definitiv Branchenkenntnisse erarbeiten. Der Blick von außen ist aber wertvoll. Viele Mechanismen sind unabhängig von der Branche, z. B. Veränderungsmanagement. Und genau das brauchen wir jetzt.Der Boom ist vorbei. Mein Vater war Unternehmer in der Textilindustrie. Wir haben solche strukturellen Veränderungen dort schon einmal erlebt. Achilles war für mich als Unternehmen immer präsent und das Unternehmertum hat mich gereizt. Ich möchte die Veränderungen aktiv mitgestalten. Deswegen habe ich mich dazu entschieden. Nur von der Seitenlinie irgendetwas hinein zu rufen ist nicht mein Ding.
Was waren bisher Ihre größten Herausforderungen?
Sicher das gleichzeitige Momentum bei der Bewältigung der aktuellen Krisen. Auch die Geschwindigkeit, in der sich Veränderungen abspielen. Wir mussten uns ebenso schnell anpassen. Wir haben viel Personal freisetzen müssen. Wir haben uns verkleinert, wir haben Standorte geschlossen – wir haben das ganze Repertoire der Restrukturierung durchgemacht. Das hätte ich so nie gedacht. Eine weitere Herausforderung war und ist die Weiterentwicklung beim Personal. Alle Beschäftigten im Veränderungsprozess mitzunehmen, Sie zu begeistern, das ist unglaublich schwer und erfordert viel Geduld. Wer Unternehmer ist, muss aber gerne mit Menschen zusammenarbeiten, sonst macht der Job keinen Sinn. Als dritte Herausforderung würde ich das große Thema Innovation nennen. Man muss sich wirklich fragen, wo sich Innovationen abspielen und auf welcher Welle man mitreiten kann und möchte. Daran mitzuarbeiten macht viel Spaß, ist aber auch eine große Herausforderung.
Wo soll es mit Achilles in der Zukunft hingehen?
Wir sind gerade 75 Jahre alt geworden. Wir sind ein hundertprozentiges Familienunternehmen und wollen es auch bleiben. Und wir haben den Anspruch, das Unternehmen langfristig zu erhalten und es weiter zu entwickeln. Auch im Angesicht der jüngsten Krisen haben wir uns nicht zurückgelehnt und den ganzen Tag geweint, weil alles so schlimm ist. Im Gegenteil. Was wir stattdessen machen ist Geld in die Hand zu nehmen, um uns unabhängig zu machen von alten Energieträgern. Wir investieren in Celle groß in Photovoltaik und in eine neue Heizungsanlage. Ende des nächsten Jahres werden wir dort zu über50 Prozent autark sein und unsere Energie in dieser Größenordnung selbst erzeugen. Das ist auf jeden Fall ein Baustein, wenn auch nicht im Bereich der Innovation. Dort werden wir uns verstärkt mit digitalen Geschäftsmodellen beschäftigen und versuchen, über Folien-Anwendungen in andere Bereiche außerhalb der Druckindustrie zu kommen. Wir haben bereits Projekte im Lebensmittelbereich und in der Bauindustrie. Und die Lebensmittelindustrie zum Beispiel ist wesentlich unabhängiger als die werbegetriebene Druckindustrie. Wir versuchen aktiv, den Fuß in andere Industrien zu bekommen, um unser Unternehmen etwas ausgeglichener aufzustellen.
Die Druckindustrie bleibt aber das Kerngeschäft?
Unser Kern bleibt die Druckindustrie, das ist völlig klar. Wir sehen da gute Möglichkeiten. Beispielsweise Veredelung von Lebensmittelverpackungen und der Kaschierung von Papierverbunden. Das ist eines unserer erfolgreichsten Innovationsprojekte der letzten Jahre. Wir werden in diesem Bereich auch weiter investieren. Die Produktion in Deutschland mit all den Faktoren bleibt aber herausfordernd. Der Materialeinkauf ist anspruchsvoll. Der Fachkräftemangel ist eine enorme Aufgabe. Die Produktion in Deutschland darf nicht zu teuer werden, die Substanz eines Unternehmens wird durch die aktuellen Krisen ohnehin schon erheblich angegriffen. Die Energiekrise war einfach so da – innerhalb weniger Wochen. Eine riesige Schockwelle, das kostet richtig viel Geld. Die Politik muss sich klar positionieren, was den Produktionsstandort Deutschland betrifft. Wollen wir in die Deindustrialisierung gehen oder wollen wir in Deutschland weiterhin Produktion haben? Dann müssen wir aber auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Mir fehlt das Konzept für Deutschland. Wie soll Deutschland in Zukunft aussehen? Wo wollen wir hin und was brauchen wir dafür? Welche Fachkräfte brauchen wir? Was muss die Bildung leisten? Was brauchen wir im Bereich der Energie? Welche Kernforderungen hat unser Land als Industrieland, um in zehn Jahren erfolgreich zu sein? Wir sind in Deutschland in keinem Bereich mehr so richtig spitze. Und das hat etwas mit den Rahmenbedingungen zu tun. Nehmen wir unser Projekt mit der Photovoltaikanlage. Man braucht einen Trafo, um eine große Anlage in Betrieb nehmen zu können. Diese Trafos haben im Moment Lieferzeiten zwischen 35 und 55 Wochen. Wenn also der Anspruch formuliert wird, dass Unternehmer in Photovoltaik investieren sollen, dann klaffen Anspruch und Wirklichkeit doch gewaltig auseinander. Es ist eine schwierige Phase, auch für die Politik. Aber als Unternehmer unter diesen Voraussetzungen ordentlich zu planen, das ist alles Andere als leicht.
Ich bin gespannt, wo die Reise hingeht. Lassen Sie uns in zwei Jahren erneut sprechen und sehen, wo wir stehen.
Unbedingt! Vielen Dank für die Einladung, ich stehe gerne erneut Rede und Antwort.